Wandel

Letzte Woche zur selben Zeit stand ich noch hart am geistigen Abgrund. Meine depressiven Zustände wurden über die letzten Monate immer schlimmer, trotz Unmengen an Antidepressiva etc. Mein sinnloser Standardtag endete meist gegen Mitternacht mit einer absoluten inneren Leere, einer mentalen, außergewöhnlich tristen Wüste, nur angefüllt mit Hoffnungslosigkeit, Selbsthass und Selbstzweifel, aber das im abnormen Übermaß. Meine autoaggressiven Gedanken kreisten ständig um sich selbst, und diese kranken Gedankengänge hatten zumeist eine ausgeprägt suizidale Grundtendenz, doch aufgrund der symptomatischen physischen und psychischen Lähmung, die mit den quälenden Depressionen einhergeht, fehlte mir sogar die Kraft, diese vernichtenden Gedanken Realität werden zu lassen. Ich konnte mich nicht dazu aufraffen, meinem unsäglich nutzlosem Dasein ein Ende zu bereiten. Manches mal, wenn es mir wieder einmal zuviel wurde, meine eigene kleine Existenz zu ertragen, überlegte ich sogar, jemanden dafür zu bezahlen, mir aktive Sterbehilfe zu leisten. Ich hasste mich für dieses verzweifelte, resignierende Ansinnen, und ich hasste mich dafür, es nicht umzusetzen. Ich dachte, dieses elende Leben könne mir nichts mehr bieten, und hatte schon mit ihm abgeschlossen – ich wartete nur noch auf den Tod…

Doch seit letztem Wochenende ist alles anders. Ich beginne langsam, ein kleines, schwaches Licht am weit entfernten Ende des Tunnels zu erhaschen. Meine selbstmörderischen Ideen treten sukzessive in den Hintergrund, und ein kleines Pflänzchen namens Liebe, von dem ich seit langem dachte, es wäre bereits rettungslos abgestorben, beginnt sich wieder zu regen, zu erholen – und es fängt sachte wieder an zu wachsen. Meine unbeholfenen Gedanken sind vorsichtig dabei, sich um 180 Grad zu drehen, vom Tod weg, hin zum Leben. Diese schwermütigen Dinge jedoch, die über viele Jahre hinweg mein Selbst bildeten und es wie ein Panzer umschlossen, können leider nicht in wenigen Tagen abgeschüttelt werden – dazu braucht es noch Zeit. Ich befinde mich in einem exorbitanten psychischen Ausnahmezustand, in meinem Kopf herrscht ein unglaublich verwirrtes Chaos und ich habe Probleme damit, Träume und Wachzustände auseinanderzuhalten. Ich bin völlig durcheinander, kann kaum einen klaren Gedanken fassen – nur eines weiss ich, und das in einer gleissend leuchtenden Klarheit: ich liebe Dich…

Die Unerträglichkeit des Seins

Warum ist das Leben so kompliziert? Und mit dieser philosophischen Frage meine ich nicht das physische Dasein, die schiere biologische Existenz an sich, welche die chthonische anthropomorphe Kreatur mit allen anderen Lebewesen, und seien sie noch so klein und unscheinbar, gemein hat, sondern das, was sie grundsätzlich von jenen unterscheidet, nämlich die offenbar exklusive Fähigkeit des organisierten bzw. kalkulierenden Denkens – beispielsweise also die Fähigkeit, Vergangenheit und Zukunft zu erkennen und zu differenzieren, erstere logisch zu konstatieren und deren kohärente Konsequenzen darzulegen, letztere strategisch zu planen und strukturiert zu verändern; die Fähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden; die Fähigkeit, Intelligenz, Hass und Liebe wahrzunehmen, sie zu interpretieren und entsprechend zu artikulieren; die Fähigkeit, exorbitant vielschichtige Pläne zu entwickeln und deren praktische Umsetzung aktiv zu realisieren, und noch viele andere imponierende Fähigkeiten mehr. Das komplizierte des Lebens, das ich hier jedoch meine, ist das den anthropomorphen Kreaturen eigene intrinsische Gefühlsleben, welches unter den terrestrischen Lebewesen wohl einzigartig ist, und das folgenreiche mentale Chaos, das es bisweilen erzeugt.

So geriet ich am 12. Februar 2011, also vor drei Tagen, unerwartet in eine emotionale Ausnahmesituation, deren sicherlich folgenreichen Nachwirkungen für mich gegenwärtig weder plan- noch absehbar sind. In mir tobt ein Gefühlschaos, wie ich es noch nie erlebt habe. Auf der einen Seite durchflutet mich eine positive, warme Welle des Lebens, die ich nicht mehr missen möchte; auf der anderen Seite belastet mich ein quälendes Schuldgefühl, von dem ich nicht einmal in letzter Instanz weiß, ob ich es überhaupt haben müsste. So viele emotionale Faktoren und gefühlsbetonte Zustände in einem so kurzen Zeitrahmen sind mir bis dato völlig unbekannt gewesen, ja, ich wusste noch nicht einmal, dass ich dazu imstande wäre, und deswegen habe ich auch keine Ahnung, wie ich damit umgehen kann und/oder muss.